Episode 004


Titel: Unwohlsein
Autor: Luchia

Erstellt am: 05.12.2009 Überarbeitet am: 27.07.2015

 

Nachdenklich überquerte Lunita die Straßen, es war ein grauer und kalter Wintertag, der wenig Hoffnung mit sich brachte. Die Straßen waren verlassen, aus einigen gekippten Fenstern drangen die Musik oder die Stimmen des Fernsehers. An einem Haus hörte sie einen Streit zwischen Mutter und Vater. Schnell ging sie weiter und bog in die kleine Seitenstraße ab. Sie hasste dieses Viertel, es schien ihr immer so verlassen und beängstigend und es trieb sie dazu noch einmal an diesen komischen Morgen zu denken, an dem sie glaubte beobachtet zu werden. Erst jetzt bemerkte sie, dass dieses Gefühl schon wieder gekommen war. "Hallo? Ist da wer?" Sie hatte ihre Angst heruntergeschluckt und mit all ihrem Mut gefragt. Trotzdem hoffte sie, dass sich niemand zu Erkennen gab und sie sich nur etwas nicht da zu sein scheinendes vormachte. Sie lag anscheinend richtig, denn aus der Leere drang nur das Bellen eines Hundes. Als sie nun im Kindergarten ankam, wurde sie herzlich von der Erzieherin empfangen, welche ihr auch noch zusätzlich überraschend zum Geburtstag gratulierte. Lunita bedankte sich freundlich und bemerkte, dass auch Melanie es mitbekommen hatte. Sie forderte die kleine auf sich auf die Bank zu setzten. Es war eine große Bank in einem langen Flur über der viele kleine Symbole waren. Jedes Symbol war für eines der Kinder bestimmt, darunter hingen zahlreiche Jacken oder Turnbeutel. Melanies Symbol war eine kleine Maus, das war sie auch, ein kleines süßes Mäuschen, Lunita lächelte kurz bevor sie diese Gedanken wieder abschüttelte. Sie griff unter die Bank nach Melanies Straßenschuhe und reichte diese ihrer Schwester. Nachdem Melanie die Schuhe gewechselt hatte und dabei war in ihren warmen rosafarbenen Winterjacken zu schlüpfen, band Lunita ihr die Schuhe. Beide verabschiedeten sich von der Erzieherin und machten sich auf den Weg zum Einkaufszentrum. Dort angekommen besorgte Lunita sich einen Einkaufswagen und warf ihre Schultasche und den kleinen Rucksack ihrer Schwester hinein. Da kam die unvermeidliche Frage "Du, Lu!" Melanie zerrte am Ärmel von Lunitas Wintermantel, "Hast du heute wirklich Geburtstag?" Lunita zuckte zusammen, was sollte sie ihr sagen? Wenn sie jetzt sagen würde, dass ihre Mutter es schon seit drei Jahren versäumt hatte würde die Fragerei ewig weiter gehen. Aber ein Kind zu belügen schien ihr auch nicht für richtig. "Ja habe ich..." Sie guckte sich kurz um "Was möchtest du heute zum Abendessen?" Lunita wusste, dass diese Art von Ablenkung funktionieren würde und das tat sie auch. Die Kleine hüpfte wie Wild durch das Geschäft, bis sie schließlich mit allem was man für ihr Lieblingsessen brauchte, beisammen hatte. Nun gut diesen Abend würde es wohl wieder Spagetti Bolognese geben. Gemeinsam gingen die Geschwister zur Kasse, es war eine lange Schlange und Lunita kam es vor als würde diese Warterei wohl nie enden. Als sie dann endlich auflegen konnte schnappte Melanie nach einer Stofftasche und legte diese dazu. Nachdem sie das Geschäft verlassen hatte, brachte Melanie den Einkaufswagen zurück und befahl Lunita am Gehweg auf sie zu warten. Wie groß sie doch schon war, dachte sie, als Melanie fröhlich zurück hüpfte. Lunita hatte eigentlich vor einen Umweg zu nehmen, sie wollte nicht wieder durch diese enge dunkle Seitenstraße. Aber Melanie teilte ihr leise mit, dass sie ganz dringend mal Müsse und, ob sie sich nicht etwas beeilen könnten. Da blieb Lunita nichts anderes übrig als den gleichen Weg zurück zu gehen von dem sie auch gekommen waren. Wieder spürte sie dieses Unwohle Gefühl, als würde man sie noch immer beobachten. Instinktiv griff sie nach Melanies Hand, diese hampelte fröhlich neben ihr her. Sie konnte es kaum erwarten, am anderen Ende wieder auf die größere Straße abbiegen zu können. Aber seltsamer Weise lies dieses Gefühl auch dann noch nicht nach, als sie umgeben waren von vielen Autos und Menschen. Jemand musste ihr folgen, sie spürte es und beschleunigte ihren Schritt. Als sie endlich an der Haustür ankamen, wagte sie es sich umzudrehen und über die komplette Straße zu sehen. Sie sah niemanden! Verwirrt ging sie rein. Sie räumte die gekauften Sachen in die Schränke und ging nach oben in ihr Zimmer. Lunita zog ihren Wintermantel aus und legte ihn über die Stuhllehne, dann widmete sie sich ihren Stiefeln, welche sie genervt in die Zimmerecke trat. Sie schlüpfte in ihre warmen Hausschuhe und kramte das Vokabelbuch aus ihrem Schrank. Anschließend lies sie sich auf ihrem Schreibtischstuhl nieder und fing an zu schreiben. Mehrere Male zerriss sie ein Blatt oder formte es zu einem Papierbällchen, welches sie dann in die Ecke warf. In einem stillen Moment vernahm sie plötzlich ein seltsames Geräusch auf dem Dachboden, welches sie zusammen zucken lies. Eine Weile lauschte sie, doch es war nichts mehr zu hören. Hin und wieder hörte sie die Schritte ihrer Mutter, die anscheinend schon vor einer ganzen Weile nach Hause gekommen war. Sie beugte sich über ihr Blatt "Hm...Was ich einmal werden möchte...Prostituierte in der Seitengasse!" Sie grinste als sie sich das Gesicht von Mrs. Fanning vorstellte, wenn sie das lesen würde, dann zerriss sie auch dieses Blatt. Gerade als sie sich bücken wollte um es in den kleinen rosa Mülleimer unter ihrem Schreibtisch zu werfen, hörte sie wieder dieses Geräusch auf dem Dachboden. Ein rumpeln und schnelle Schritte. Ängstlich ging sie aus dem Zimmer und holte aus der Ecke des kleinen Ganges den Stab um die Speicherklappe zu öffnen. Als sie dann die ausklappbare Leiter herunter holte und die ersten Zwei Schritte geklettert war, hörte sie ihre Mutter zum Abendessen rufen. Die Zimmertür von Melanie ging ganz schnell auf "Oh... Lu was machst du da?" Schnell stieg sie die Leiter wieder hinunter und klappte sie wieder hoch "Ähm... Da war nur... Ich.. ach nichts, lass uns runter gehen!" Sie gingen gemeinsam nach unten und setzten sich zu ihrer Mutter an den großen runden Esstisch. In der Mitte standen weiße Tulpen und daneben zwei Goldene Kerzenständer mit zwei langen weißen Kerzen. Lunita mochte das flackernde Kerzenlicht, auch in ihrem Zimmer hatte sie mehrere Kerzen aufgestellt. Sie war es auch die vor zwei Tagen diese Tischdekoration hergerichtet hatte. Ihre Mutter hielt davon nichts, wenn es nach ihr ginge, wäre der Tisch immer komplett leer, genauso wie die Fensterbretter. Nirgendwo würde sie etwas Dekoratives aufstellen. Die unzähligen Blumen am Fenster hatte alle Lunita mit ihrem Taschengeld besorgt und auch nur sie kümmerte sich darum. Ihre Mutter war der Meinung, wo viel steht, hätte man auch viel Arbeit beim putzen. Alle Stellen die Lunita dekorierte musste sie auch selbst reinigen, aber das war ihr egal. Würde sie sich um diese Kleinigkeiten nicht kümmern, wäre dieses Haus noch Trostloser, als es ohnehin schon war. Lunita schüttete sich großzügig Parmesan auf ihre Spagetti und reichte diesen dann ihrer Schwester. Sie aßen ganz still ohne ein Wort zu sagen, so wie jeden Abend auch. Ihre Mutter meinte, dass es sich nicht gehört während des Essens zu reden, aber danach schickte sie immer ihre Tochter in die Küche den Abwasch erledigen und kümmerte sich selbst um ihre eigenen Dinge. Und das konnte aller Hand sein, mal war es ein Typ der auf sie wartete, mal stapelweise Arbeit die sie immer vom einen auf den nächsten Tag verschoben hatte und manchmal war es eine heiße Wanne die in ihrem großen Badezimmer auf sie wartete. Zum reden mit ihren Kindern nahm sich Cathreen wenig Zeit. "Mami?" mit Spagetti im Mund wendete sich Melanie an ihre Mutter. "Scht" Gab die Mutter zurück. "Aber Mami, Lu hat heute Geburtstag!" Na toll! Das war das letzte was Lunita wollte und daran hatte nur diese Erzieherin im Kindergarten Schuld. "Oh mein Gott Lunita! Das tut mir so leid!" Lunita knallte ihr Besteck auf den Tisch "Spar dir das Mum! Ich habe keinen Hunger mehr, ich geh nach oben!" "Lunita du bleibst hier! Wieso hast du nichts gesagt?" Es war so lächerlich, es war nicht Lunitas Aufgabe ihre Mutter an diesen Tag zu erinnern und genau aus diesem Grund hielt sie es besser nichts zu sagen, allerdings war das nicht ihre Antwort, denn diese sollte viel härter sein "Ach Mum, merkst du es eigentlich noch?" Diese schaute ihre älteste Tochter erschrocken an, aber konnte nicht antworten, denn Lunita war noch nicht fertig mit ihr. "Es ist immer das Selbe mit dir! Du interessierst dich nur für die vielen Männer die bei dir ein- und ausgehen, nicht aber für deine Kinder!" Lunita schrie richtig laut, aber das war ihr egal, sie war der Meinung, dass sie im Recht war. Als ihr Blick zu der eingeschüchterten Melanie fiel tat es ihr ihretwegen etwas leid, sie stand so ruckartig auf, dass der Stuhl nach hinten umfiel, aber auch das war ihr egal. "Lunita! So redest du nicht mit deiner Mutter und schon gar nicht vor deiner Schwester!" Lunita ging zu den Stufen die nach oben führten "Mum lass gut sein, für heute bin ich sowieso fertig, lass mir jetzt meine Ruhe!!" Sie lies sie zusammen mit ihrer Schwester sitzen und ging nach oben in ihr Zimmer, wo sie fast rückwärts umgefallen wäre. "Oh mein Gott! Wer sind Sie? Was machen sie in meinem Zimmer?"

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